Härtefallfonds für energieintensive Betriebe

„Bei manchen Handwerksbetrieben ist die Lage dramatisch, teilweise hat sich die Energierechnung verzehnfacht. Die Ministerpräsidenten sollten sich bei ihrem anstehenden Treffen auf den geplanten Härtefallfonds einigen, damit kann man vielen Betrieben helfen. Das Geld muss aber schnell und unkompliziert fließen. Es darf nicht erst im Frühjahr bei den Betrieben ankommen“, so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer zu Dr. Antje Höning und Birgit Marschall von der „Rheinischen Post“.

Die Energiekrise trifft die deutsche Wirtschaft hart. Wie schlimm sieht es im Handwerk aus?

Bei manchen Handwerksbetrieben ist die Lage dramatisch, teilweise hat sich die Energierechnung verzehnfacht. Das halten Betriebe nicht lange aus, zumal die Coronakrise die Reserven aufgezehrt hat. Bäcker, Konditoren, Metzger und Brauer können ihre Preise nicht in dem Maß erhöhen, wie ihre Kosten angestiegen sind, da sie sonst riskieren, dass die Kunden zum Discounter abwandern. Viele Textilreiniger oder auch Lackierer und Karosseriebauer wiederum können ihre höheren Kosten nicht über höhere Preise weitergeben, weil sie langlaufende Verträge ohne Preisgleitklauseln etwa mit Krankenhäusern und Pflegeheimen oder aber den Autoversicherern haben.

Fürchten Sie die Abwanderung von Betrieben?

Das Handwerk ist die Wirtschaftsmacht von nebenan. Ortsverbundenheit gehört zum Selbstverständnis. Nur fünf Prozent der Handwerksbetriebe sind auch im Ausland aktiv. Unsere Betriebe wandern nicht ab. Wer nicht mehr kann, gibt still auf.

Kommen die Gas- und Strompreisbremsen schnell genug?

Es ist gut, dass die Preisbremsen bereits ab Januar gelten sollen. Doch weil das Geld erst im März rückwirkend gezahlt wird, bleibt eine Liquiditätslücke im Januar und Februar. Energieintensive Handwerksbetriebe brauchen Härtefallhilfen im Winter, damit sie nicht in diese Lücke fallen. Die Ministerpräsidenten sollten sich bei ihrem anstehenden Treffen auf den geplanten Härtefallfonds einigen, damit kann man vielen Betrieben helfen. Das Geld muss aber schnell und unkompliziert fließen. Es darf nicht erst im Frühjahr bei den Betrieben ankommen.

Welche Branchen brauchen den Härtefallfonds besonders?

Bäcker, Lackierer und Galvaniseure arbeiten besonders energieintensiv. So wie Friseure das Gesicht der Coronakrise waren, so sind die Bäcker das Gesicht der Energiekrise geworden. Aber auch viele Bierbrauer, Textilreiniger und Karosseriebauer stehen am Rand eines „Liquiditätsabgrundes“, in den sie im Januar und Februar zu stürzen drohen. Bund und Länder müssen diesen energieintensiven Betrieben eine Härtefallbrücke bauen, die sie trägt und auffängt.

Wie bewerten Sie die Arbeit von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck?

Es geht in die richtige Richtung, es hätte aber alles schneller kommen müssen. Die Betriebe wissen noch immer nicht, wie sie die Energierechnung im Januar stemmen sollen. Doch wir sind in einem engen Dialog mit dem Ministerium.

Die Ampel diskutiert, ob sie die Nutzung der Preisbremsen mit einem Ausschüttungsverbot verbindet. Soll nur der Betrieb staatliche Hilfe erhalten, der keine Dividende, Boni oder Tantieme ausschüttet?

Die Dividendenfrage stellt sich für Handwerksbetriebe nicht. Natürlich müssen Betriebe weiter den Unternehmerlohn zahlen, davon leben viele Meister.

Um das Stromangebot zu erhöhen, laufen die Atommeiler nun bis April. Sollte man die Laufzeit weiter verlängern?

Es geht in einer extrem schwierigen, so noch nicht dagewesenen Zeit für die Betriebe um Planungs- und Versorgungssicherheit. In dieser Lage müssen alle Energieoptionen geprüft und in Betracht gezogen werden. Es muss alles ans Netz, was machbar ist. Denn je größer das Stromangebot, desto geringer ist der Preisdruck für die Betriebe.

Manche Branchen fordern dauerhafte Senkungen der Energiepreise, die in Deutschland besonders hoch sind.  Was sagen Sie?

Der Staat kann nicht dauerhaft eingreifen, es kann keine dauerhaften Subventionen geben, das wäre mit der Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren. Auch unsere Betriebe werden sich darauf einrichten müssen, dass im „New Normal“ Energie dauerhaft teuer bleibt. Eine sicherlich anspruchsvolle Aufgabe, aber das Handwerk hat schon in vergangenen Krisen seine Flexibilität und Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt.

Ein anderes brennendes Thema für die Betriebe ist der Fachkräftemangel. Wie viele Mitarbeiter fehlen schon jetzt im Handwerk?

Die Bundesagentur für Arbeit meldet aktuell 153.000 offene Stellen im Handwerk, aber in Wahrheit ist der Fachkräftebedarf deutlich höher. Viele Betriebe melden ihre offenen Stellen gar nicht mehr, weil das nichts bringt: Es kommen einfach keine Bewerber mehr vorbei. Einige Betriebe müssen sogar schließen, weil sie keine Leute mehr finden und das, obwohl sie sehr gut laufen und einstellen würden. Dem Handwerk fehlen aktuell geschätzt rund 250.000 qualifizierte Fachkräfte.

Und wie sieht es bei den Auszubildenden aus?

Wir haben allein im Handwerk zurzeit noch über 20.000 offene Lehrstellen. Das ist der höchste Wert, den wir in der Bundesrepublik je hatten. Der Mangel an Auszubildenden hat sich nochmals verschärft. Die Alten gehen in Rente und es kommen viel weniger Junge nach. Und von den wenigen Jungen gehen die meisten an die Universitäten. Das kann so nicht weitergehen.

Trotz aller Warnungen hat der Akademisierungstrend noch nicht nachgelassen?

Nein und das Ergebnis ist: Die Bildungsströme gehen an den Bedürfnissen der Gesellschaft, der Wirtschaft weiter vorbei. Wir brauchen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Akademikern und Berufspraktikern. Das passt schon seit Jahren nicht mehr und ist aus dem Lot geraten. Ziel kann doch nicht sein, möglichst viele Akademiker zu haben, die sich dann nicht selten in prekären Arbeitsverhältnissen und Kettenbefristungen wiederfinden, die ihrem Studium nicht entsprechen. Und gleichzeitig werden händeringend beruflich qualifizierte Fachkräfte gesucht, gerade auch um all die Klimaschutz-, Energie- und Mobilitätswenden umzusetzen. Da sind viele junge Leute auf den für sie falschen Weg geführt worden, auch von ihren Eltern und häufig, weil sie nicht genug von all den zukunftssicheren Berufs- und Karrieremöglichkeiten mit einer Ausbildung wussten.

Wie bringt man das wieder ins Lot?

Die Politiker müssen den Mut zu einer echten Bildungswende haben. Wir sollten Ausbildungsbetriebe entlasten, damit sie sich in diesen wirtschaftlich schweren Zeiten nicht aus der Ausbildung zurückziehen. Eine steuerliche Entlastung wäre etwa vorstellbar, indem für Ausbildungsbetriebe vorgesehen wird, dass sie die Ausbildungsvergütungen ihrer Lehrlinge doppelt von der Steuer absetzen können. Wir brauchen mehr Berufsschullehrer, höhere Gehälter in der beruflichen Bildung. Wir brauchen mit Blick auf die gleichermaßen wichtige Rolle beider Bildungswege ein Gesetz zum Deutschen Qualifikationsrahmen, in dem die berufliche und die Universitätsausbildung als grundsätzlich gleichwertig definiert und festgeschrieben werden. Und die berufliche Bildung muss unbedingt endlich bundesweit Teil der Berufsorientierung an Gymnasien sein, die es dort oft noch gar nicht gibt.

Wie können wir den Fachkräftebedarf durch mehr Zuwanderung decken?

Die Bundesregierung plant ja die Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Das muss jetzt schnell kommen. Die neuen Regeln müssen sich an der Praxis orientieren, unkompliziert und unbürokratisch sein. Kleine Betriebe haben keine großen Personalabteilungen, die sich lange mit Ausländerbehörden auseinandersetzen können. Die Ausländerbehörden müssen „Welcome-Center“ werden, Visa müssen schneller erteilt werden. Sonst kommen die Leute nicht, zumal Deutschland ja ohnehin nicht den allerbesten Ruf als Einwanderungsland hat. Dabei haben wir einen enormen Bedarf im Handwerk: Die Klimakrise lässt sich nur mit qualifizierten Handwerkerinnen und Handwerkern bewältigen, ebenso der demografische Wandel oder die Wohnungsnot. Zuwanderung kann dazu beitragen, den Fachkräftebedarf zu mildern, aber den kompletten Bedarf wird auch sie nicht decken können. Denn man muss realistisch bleiben: Hunderttausende Zuwanderer pro Jahr werden nicht kommen.

Nach neun Jahren als ZDH-Präsident geben Sie das Amt jetzt ab. Welche Bilanz ziehen Sie?

Es war eine turbulente Zeit. Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Corona-Krise, Ukraine-Krise – von einer Krise in die andere sind wir gegangen. In dieser Zeit ist es uns dennoch gelungen, das Handwerk stärker in den Fokus von Politik und Gesellschaft zu stellen.

Vermissen Sie Angela Merkel?

(lacht): Ja! Ich war zwar längst nicht mit allem einverstanden, aber wir haben gut zusammengearbeitet. Bundeskanzlerin Merkel konnte gut zuhören und war vor allem verbindlich.

Was ist Ihr dringendster Wunsch an die Ampel?

Die Ampel muss die berufliche Bildung sehr viel stärker fördern und dem Handwerk noch mehr Wertschätzung geben. Außerdem sind unsere Sozialversicherungssysteme nicht mehr solide aufgestellt. Das weiß jeder, der richtig rechnen kann. Es kann nicht mehr funktionieren, dass nur der Faktor Arbeit zur Finanzierung der Sozialversicherung herangezogen wird. Sonst laufen uns die Lohnzusatzkosten aus dem Ruder. Digitale Unternehmen beispielsweise, die unsere Infrastruktur nutzen und Riesengewinne machen, müssen künftig stärker einbezogen werden. Diese Einnahmen müssen in die Sozialversicherung fließen. Denn gerade für unsere lohnintensiven Handwerksbetriebe ist entscheidend, dass die Sozialabgaben nicht weiter ausufern.

Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)

Bild: ZDH/Boris Trenkel

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