Handwerk bildet das Rückgrat

Handwerksbetriebe und ihre Beschäftigten verdienen mehr gesellschaftliche und politische Wertschätzung, so ZDH-Präsident Dittrich im Interview mit der „Sächsischen Zeitung“.

Das Handwerk als Wirtschafts- und Gesellschaftsgruppe verdiene mehr Wertschätzung wie auch die berufliche Bildung als Voraussetzung für handwerklichen Nachwuchs, so ZDH-Präsident Dittrich. Im Interview mit Michael Rothe von der Sächsischen Zeitung betont er die herausragende Rolle handwerklicher Arbeit für die Zukunftsgestaltung.

Herr Dittrich, Sie sind seit 1. Januar Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks mit Sitz in Berlin, haben viele weitere Ehrenämter. Sehen die Leute ihrer Dresdner Dachdeckerfirma Sie noch auf der Baustelle?

Ich bin weiter für sie erreichbar. Dabei hilft die Digitalisierung unheimlich – um sich mit den Vorarbeitern, aber auch mit dem Hauptgeschäftsführer der Dresdner Kammer und jetzt auch mit der Geschäftsführung des Zentralverbandes abzustimmen. Das wäre vor zehn Jahren so noch nicht möglich gewesen.

Und wie lässt sich die neue Aufgabe an?

Meine Vorstellungen haben sich im Wesentlichen erfüllt. Ganz vorn steht aktuell das Kennenlernen von Menschen, Strukturen, Abläufen. Für mein Umfeld ist es sicher nicht einfach, weil ich ungeduldig bin – nicht als Mensch, sondern im Sinne der Sache. Die Erde dreht sich weiter, deswegen kann ich mir kein ruhiges Ankommen erlauben. Mein Kalender war schon voll. Jetzt heißt es, noch stärker zu priorisieren.

Wird der neue Besen auch in der deutschen Handwerkszentrale kehren?

Das passiert von allein, weil Menschen unterschiedlich sind. Der ZDH hat eine effiziente Struktur. Dort arbeiten kompetente, fleißige Menschen. Aber ich sehe es als Vorteil der Demokratie, dass durch einen Wechsel im Ehrenamt neue Impulse entstehen. Ich komme sicher nicht mit der Dampfwalze. Handwerkerinnen und Handwerker wollen Kontinuität und Berechenbarkeit an der Spitze unserer wichtigsten Dachorganisation. Ich werde oft gefragt: Wie wirst Du mit dem Hauptamt zusammenarbeiten?

Und was antworten Sie?

In der Dresdner Kammer ist es gelebte Praxis, dass der Präsident die politischen Impulse setzt. Dort trennen wir Ehren- und Hauptamt. Und so werde ich das auch im ZDH handhaben. Meine Aufgabe im Ehrenamt ist es, Themen aus der Praxis mitzubringen und daraus in der Zusammenarbeit politische Leitlinien zu entwickeln.

Nur kurz im Amt, sind Sie in den Medien bereits omnipräsent. Was kommt ihnen am häufigsten über die Lippen?

Das Handwerk wünscht sich öffentliche Wahrnehmung. Als sein Sprecher ist es meine Aufgabe, genau diese mit Inhalt zu füllen und für die Themen des Handwerks zu trommeln. Eine der ersten Fragen ist immer, was ich mir vorgenommen habe. Und im Westen wird oft auf mich als ersten Ostdeutschen im Amt abgestellt. Das gleicht dem Stereotyp der Beteiligung von Frauen in der Wirtschaft. Meine Antwort ist dann, dass es kein Nachteil ist, dass ich zwei Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme erlebt habe. Diese Erfahrung kann ich gewinnbringend für alle einbringen.

Und was haben Sie sich vorgenommen?

Es geht zuvorderst um mehr Wertschätzung für das Handwerk als Rückgrat der Gesellschaft. Die kann man nicht gesetzlich verordnen. Es ist für mich ein großer Vertrauensbeweis, dass ich für 1 Million Betriebe mit 5,6 Millionen Beschäftigten sprechen darf – wenn man die Familien einschließt, eine riesige Gesellschaftsgruppe, die vor Ort – an der Ecke, der Dorfstraße, im Kiez – verankert ist und die graswurzelmäßig genau weiß, was die Menschen bewegt: vom Lastenfahrrad bis zum Ausbau der Autobahn. Und wir müssen uns als Handwerk selbst stolz nach außen zeigen, denn wie sollen wir sonst von anderen Wertschätzung erwarten, wenn vor allem über viele Dinge geklagt wird.

Etwa über den allgegenwärtigen Fachkräftemangel – am Montag Thema einer Konferenz der ostdeutschen Ministerpräsidenten, zu der Sie eingeladen wurden. Was sind Ihre Botschaften?

Das Thema berührt das gesamte Handwerk – wegen des Aderlasses nach der Wende aber im Osten noch mehr als im Westen. Selbst wenn alle Krisen, die wir derzeit haben – Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg und die daraus resultierenden Lieferkettenstörungen und Energiepreissteigerungen – überstanden wären, bliebe der Fachkräftemangel. Lösungen dafür zu finden, steht über allen anderen Problemen.

Wo sind die Ansatzpunkte?

Wir haben keine identische Wertschätzung von akademischer und beruflicher Bildung. Das muss sich ändern. Dazu gehört dann, dass in allen Schularten, auch den Gymnasien, eine Berufsorientierung stattfindet, die immer auch über die Optionen der beruflichen Bildung informiert – um so auch mehr Abiturienten ins Handwerk zu locken. Berufsschulen und die Bildungszentren des Handwerks müssen gut ausgestattet sein mit Lehrern, Material, neuesten Technologien. Wir müssen es schaffen, dass weniger Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen – und dafür sorgen, dass mehr in der beruflichen Bildung ankommen. Großes Potenzial sehe ich in Forschung und Entwicklung, weil mit größerer Produktivität der Personalnot begegnet werden kann. Wir müssen Geflüchtete besser integrieren und die Zuwanderung in Arbeit erleichtern.

Forscher und Gewerkschaften betonen die Bedeutung der Weiterbildung. Bundesarbeitsminister Heil plant gar ein Gesetz, wonach sich jeder Arbeitnehmer ein Jahr bezahlt weiterbilden darf.

Weiterbildung an sich ist dringend nötig. Es aber gesetzlich verpflichten zu wollen, und so in das Direktionsrecht der Betriebe einzugreifen, halten die Handwerksbetriebe für falsch. Das sollten die Firmenchefs in Absprache mit ihren Mitarbeitern vereinbaren.

Mit Freiwilligkeit ist es hierzulande aber nicht weit her – siehe Einhaltung von Sozial- und Ökostandards oder Frauenquoten in den Führungsebenen.

Ein Handwerksbetrieb hat vier, fünf Leute. Und die alle – Chef, Meisterin, Mitarbeiter – wollen ihr Geld verdienen, einer erfüllenden Arbeit nachgehen und um eine sichere Rente wissen. Die Zeitenwende gibt es auch aus technologischen und demografischen Gründen – und die zwingt zur Fortbildung, will ein Betrieb weiter mithalten. Die Erfahrung zeigt: Heutzutage kündigen die, die sich weiter qualifizieren wollen, es in ihrem Betrieb aber nicht können. Und es gibt die, die solche Fortbildungen scheuen: Die sich aus Angst am Tag der Weiterbildung krankmelden. Ein im Bundesarbeitsministerium entschiedenes ‚betreutes Leben‘ kann nicht der richtige Weg sein. Angesichts der Demografie ist Dirigismus unnötig.

Also die Devise: Staat halte Dich raus?

Nein. Vielmehr: Staat, befiehl nicht, wer wie lange Fortbildung macht, sondern befördere, dass Fortbildung gut funktioniert.

Mit Aufstiegs-Bafög oder Meisterbonus?

Auch. Entscheidend ist, dass die berufliche Bildung in den Händen der Wirtschaft liegt und bedarfsgetrieben ist. Wenn sie gleichwertig zur akademischen Bildung behandelt würde und jemand mit Abschluss die Kosten erstattet bekäme, wäre das im Sinne des Handwerks. Aber alles kostenlos zu machen und durch den Staat die Inhalte des Curriculums vorgeben zu lassen, ist falsch. Selbstverwaltung und Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern haben uns stark gemacht, das darf nicht zerstört werden, indem wieder mehr in staatliche Verantwortung geht.

Jüngst tagte in Chemnitz die Fachkräfteallianz Sachsen. Motto: „Gute Arbeit – bessere Arbeit“. Wie definiert Deutschlands Oberhandwerker gute Arbeit?

Ich fremdele schon immer mit dem Begriff. Wer maßt sich an zu entscheiden, welche Arbeit gut oder schlecht ist?

Sachsens Wirtschaftminister Dulig.

Er zielt auf die Entlohnung ab, aber das steckt im Begriff nicht drin. Jede Arbeit im Handwerk verdient Wertschätzung. Ich wünsche mir, dass die Betriebe die Chance bekommen, ihren Leuten mehr zu zahlen.

Haben sie die nicht?

Nein, weil die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland außerordentlich hoch ist und wir uns hier in der Weltspitze bewegen. Bei Sozialversicherungsbeiträgen von mehr als 40 Prozent wird der Abstand zwischen dem, was der Handwerker verdient und dem, was der Betrieb Kunden in Rechnung stellt, so groß, dass es zu der paradoxen Situation führt, dass sich Gesellen ihre Leistung selbst nicht mehr leisten können. Da stimmt was nicht. Die Sozialsysteme sind durch die demografische Entwicklung in Schieflage, und das wird sich noch verstärken. Da muss die Politik ran, muss prüfen, wie zur Finanzierung der Sozialsysteme der Faktor Arbeit entlastet wird. Als lohnintensives Handwerk haben wir hier derzeit einen massiven Wettbewerbsnachteil.

In der Zeitenwende ändern sich auch Wertvorstellungen, zählt für viele Beschäftigte freie Zeit mehr als eine Lohnerhöhung. Die 4-Tage-Woche bei vollen Lohnausgleich wird populär.

Es gibt im Handwerk eine Reihe Betriebe, die das bereits praktizieren. Sie werden aber vom Arbeitszeitgesetz ausgebremst. Das zeigt sich besonders im Montagebereich. Denn bei zehn Stunden inklusive An- und Abreise bewegt man sich im Graubereich. Viele Baubetriebe bolzen von Montag bis Donnerstag Stunden und machen dann verlängerte Wochenenden.

Laut jüngstem DGB-Index schätzen in Deutschland 57 Prozent der Menschen ihre Arbeitsbedingungen als gut ein. Im Osten sind es 47 Prozent, in Sachsen lediglich 43 Prozent. Was sagt Ihnen das?

Ich erkläre es mir mit weiter bestehenden ‚Wunden der Vergangenheit‘. Wir hatten im Osten über Jahre eine hohe Arbeitslosigkeit, haben Leute aufgefordert, woanders einen Job zu suchen. Dass die Situation nun eine andere ist, das muss erst mal in die Köpfe. Das hat auch mit der Demografie zu tun. Häufig ist es so, dass sich der, der älter ist, mehr Sorgen um die Zukunft macht. Der Geburtenknick nach der Wende war schlimmer als der nach dem Ersten Weltkrieg. Von den Wenigen, die 1990 und danach geboren wurden, sind zudem Viele in den Westen gegangen. Und heute wundern wir uns, dass wir keine 30-jährigen haben, die den Älteren sagen: „Bleibt ruhig, wir kriegen das schon hin.“

Um Nachwuchs fürs Handwerk zu gewinnen, gibt es seit zwölf Jahren eine stetig weiterentwickelte Imagekampagne. Was ist jetzt anders als beim Start?

2010 wussten nur zwölf Prozent der Bevölkerung, dass Bäcker ein Handwerksberuf ist. Da ging es darum, das Handwerk überhaupt wieder in das Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen. Seitdem steht im Fokus, Auszubildende zu gewinnen. Das ist auch weiter das Anliegen. Aktuell verstärkt dadurch, noch bestehende Klischees vom Handwerk aufzubrechen und positiv zu drehen.

Wie wirbt ihr Betrieb um Nachwuchs, präsentieren Sie sich als Arbeitgeber?

Wir hatten voriges Jahr neun Azubis im 1. Lehrjahr, auch zwei Frauen, die Dachdeckerinnen werden wollen. Wir besuchen Messen, gehen in Schulen, tun uns mit anderen Unternehmen zusammen und haben eine eigene Ausbildungsbroschüre aufgelegt.

Die Tarifbindung im Handwerk ist unterirdisch. Wie gelingt eine Wende?

Dort, wo es allgemeinverbindliche Löhne gibt – Dachdecker, Bau, Gebäudereinigung – funktioniert es gut. Daher bin ich, obwohl ich als ZDH-Präsident natürlich keine Tarife verhandele, dafür, dass wir zu mehr Tarifbindung kommen. Also müssen wir dafür werben. Sozialpartnerschaftlich ausgehandelte Tarife nehmen regionale und gewerkespezifische Aspekte mit in den Blick. Denn es ist schon etwas anderes, ob man mit zwölf Euro Mindestlohn in München oder in Görlitz leben muss. Ich möchte die Frage diskutieren: Welche Vorteile hat es, in einer Innung oder in der Gewerkschaft zu sein?

Haben Sie eine Idee?

Man könnte tarifgebundene Betriebe von Berichtspflichten entlasten. Oder ihnen größere Spielräume bei der Arbeitszeitgestaltung geben. Und da gibt es bestimmt noch andere Möglichkeiten. Die Vorteile der Sozialpartnerschaft müssen deutlicher werden.

Sie sorgen sich, dass Handwerkerleistungen nicht mehr bezahlbar sind, finden es aber nicht schlimm, wenn man auf den Handwerker warten muss.

Dass man mal zwölf Wochen auf eine komplexe Leistung warten muss, ist kein Weltuntergang. In anderen Bereichen als dem Handwerk ist das normal. Sollte der Markt allerdings nicht mehr funktionieren und man die Leistung erst in zwei Jahren oder gar nicht bekommen, wäre das eine andere Lage.

Was wäre für Sie normal?

Für einen Bad- oder Hausumbau zwischen drei und fünf Monaten warten zu müssen, finde ich nicht schlimm. Notfälle müssen natürlich schneller gehen.

Ihren ersten Erfolg haben Sie: Für Firmen mit Öl- und Pelletheizung soll es doch Härtefallhilfen geben. Zufrieden?

Immerhin ist geklärt, dass diese Energieträger dabei sind. Allerdings sind die notwendigen Verwaltungsvereinbarungen zwischen Bund und Ländern noch nicht überall geschlossen und die Verordnungen zu den Härtefallhilfen noch nicht in allen Bundesländern ausformuliert. Da muss jetzt Tempo rein, denn für betroffene Betriebe tickt die Uhr.

Was steht als nächste Aufgabe an?

Fachkräfte sind das Thema, um das sich alles dreht: Forschung und Entwicklung, Reformen zur Sicherung der Sozialversicherungssysteme, die Rente, die Energiewende.

Und wie regeln Sie Ihren Tanz auf den vielen Hochzeiten – etwa als Präsident des Sächsischen Handwerkstags, der Dachorganision im Freistaat?

Wir sind in Gesprächen, ob es gut wäre, dass ich diese Aufgabe abgeben sollte. Fakt ist, dass ich nicht an ihr klebe und es befürworten würde, dort jemand anderen zu sehen.

Und was sagen Sie dem Dresdner SC?

Wir haben dort ein starkes Vorstandsteam, das die Aufgaben wahrnimmt. Ich hatte alle Gremien rechtzeitig informiert, dass ich als ZDH-Präsident kandidiere.  Die damit verbundene zusätzliche Last tragen wir im Team: die Familie, die Firma, der Vorstand der Kammer, der Sportclub. Wir sind zwar nicht Papst, aber wir sind jetzt Präsident.

Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)

Bild: ZDH – Sascha Schneider

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