Vereinigte Kreishandwerkerschaft Düren-Euskirchen-Heinsberg

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Wir müssen den Standort-Wettbewerb annehmen

Deutschland muss sich bewegen, denn sonst droht der Abstieg. Der Sozialstaat muss leistbar sein, sagt ZDH-Präsident Dittrich im „Handelsblatt“.

Der Ifo-Index ist zum vierten Mal in Folge gesunken, die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten das zweite Rezessionsjahr in Folge. Ist die deutsche Wirtschaft noch zu retten?
Ja, weil wir in Deutschland das Potenzial haben, beispielsweise mit einem weltweit nahezu einzigartigen beruflichen Bildungssystem, einer guten universitären Bildung. Wir sind weiter ein starkes Land mit Handlungsspielräumen. Aber aktuell tun wir zu wenig, um im Wettbewerb mithalten zu können. Wir müssen raus aus dem Beharrungsvermögen, der einen Niedergang erzeugt. Der Wettbewerb weltweit ist da, und wir müssen ihn annehmen. Anders als in früheren Krisen haben wir strukturelle Probleme. Denken Sie an die Steuer- und Abgabenlast oder den demografisch bedingten Fachkräftebedarf.

Horrornachrichten über Auftragsmangel und Stellenabbau kommen vor allem aus der Industrie, der Bauwirtschaft und dem Handel. Kann sich das Handwerk von der schlechten Konjunktur abkoppeln?
Die Krise betrifft nicht nur VW oder die Exportbranche, sondern die gesamte Wirtschaft. Auch viele Handwerksbetriebe sind als Zulieferer eng mit der Industrie als Auftraggeber vernetzt. Und als Handwerk haben wir mit Kostenschocks zu kämpfen, auf die wir keinen Einfluss haben – beispielsweise bei den Lohnzusatzkosten.

Renten-, Krankenkasse und Pflegebeiträge werden absehbar weiter steigen …
Ja, aber das kann nicht im Interesse der Gesellschaft und der Wirtschaft sein. Wir müssen beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag dringend wieder unter die 40-Prozent-Marke kommen. Mich ärgert, dass viele Politiker höhere Beiträge für die Kranken-, Pflege- oder Rentenversicherung als sozial verkaufen. Aber wenn sich dadurch lohnintensive Leistungen so verteuern, dass sich Geschäftsmodelle nicht mehr tragen und als Folge Jobs verloren gehen oder Geschäfte schließen müssen – ist das dann noch sozial? Auch ein Sozialstaat muss wieder über leistbare Eigenverantwortung reden. Es darf nicht sein, dass wir noch nicht einmal darüber diskutieren, wie wir eine soziale Balance und zugleich Reformen hin zu auch in der Zukunft tragfähigen Sozialsystemen hinbekommen. Jegliche Vorschläge hierzu münden in einem reflexartigen Aufschrei und in Abwiegelung. Dabei geht es um den Erhalt unserer Sozialsysteme und nicht um deren Abschaffung.

In Schulnoten von 1 bis 6 – welche Note geben Sie dem Wirtschaftsstandort Deutschland?
Bei den geleisteten Arbeitsstunden liegen wir auf den letzten Plätzen, bei den Steuern und Sozialabgaben dagegen vorn. Bei den Energiekosten und der Innovationsfähigkeit sind wir weit abgeschlagen. Genug Potenzial zur Verbesserung ist also vorhanden, das wir jedoch nicht entfalten. Note 4.

Sie haben das relativ geringe Arbeitsvolumen in Deutschland angesprochen. Ist Arbeit nur noch eine „unangenehme Unterbrechung der Freizeit“, wie CDU-Chef Friedrich Merz jüngst formulierte?
Ich würde mir wünschen, dass für alle Menschen vor allem das Erfüllende der Arbeit gesehen wird. Arbeit ist so viel mehr als nur reines Geldverdienen, dort geht es auch um soziales Miteinander, Verantwortung und hoffentlich auch Freude.

Die Innung der Gebäudereiniger hatte von Fällen berichtet, dass Beschäftigte kündigen, um dann lieber Bürgergeld zu beziehen. Macht es das Bürgergeld den Menschen zu leicht?
Vorrangig sollte es darum gehen, alle Möglichkeiten konsequent zu nutzen, um Bürgergeldempfänger in reguläre Beschäftigung zu integrieren. Über die sozialen Sicherungssysteme gewährleistete Solidarität ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft, aber keine Wahlleistung und eben auch keine Einbahnstraße. Sie muss fair ausgestaltet werden.

Schafft die Ampel noch den Turnaround?
Gerade weil es der Ampel kaum jemand mehr zutraut, ist das für die Koalition die große Chance, das Gegenteil zu beweisen. Aber dafür müssen die drei Parteien Lösungen präsentieren, die den Standort stärken und die Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Dafür sind sie gewählt worden. Für diese Lösungen wurde ihnen Verantwortung übertragen.

Reicht die von der Bundesregierung versprochene Wachstumsinitiative aus?
Sie kann überhaupt nur wirken, wenn sie schnell umgesetzt wird. Und bei etlichen Dingen fragt man sich, warum die nicht längst umgesetzt sind. Etwa die vom Handwerk vorgeschlagenen Praxis-Checks, bei denen immer geschaut wird, welche Auswirkungen Gesetze auf kleine und mittelständische Unternehmen haben. Das würde 90 Prozent der Betriebe in Deutschland helfen. Die müssen sich heute mit Gesetzen, Dokumentationspflichten herumschlagen, die in der Regel auf die großen Konzerne zugeschnitten sind, wie etwa bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die Gesetzgebung geht zu oft an der Lebensrealität von Betrieben und Unternehmern vorbei, die sich um ihre Wettbewerbsfähigkeit sorgen.

In den ostdeutschen Bundesländern sind die Ampel-Parteien für ihre Politik abgestraft worden, sieht man von der SPD in Brandenburg ab. Gegen die AfD lässt sich bald keine Politik mehr machen. Beunruhigt Sie das?
Mich beunruhigt, dass die Unsicherheit in der Gesellschaft von Menschen ausgenutzt wird, die das System ganz grundsätzlich in Frage stellen. Wenn der Euro zur Disposition gestellt oder von der starken Hand phantasiert wird, und wenn sich Rassismus generell gegen Zuwanderung breit macht, dann muss uns das Sorge machen. Umso mehr muss man die Sorgen der Menschen vor geopolitischen Verwerfungen, Auswirkungen der Digitalisierung oder sterbenden ländlichen Regionen auch ernst nehmen.

Dem frisch gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht kommt aus dem Stand eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung zu. Kann Frau Wagenknecht dieser Rolle gerecht werden?
Sahra Wagenknecht hat in früheren Interviews gesagt, der Sozialismus sei nicht prinzipiell schlecht, sondern nur falsch angegangen worden. Ich habe, wie Frau Wagenknecht, die DDR erlebt. Und für mich war sie nicht falsch geführt, sondern eine Diktatur, die am Ende moralisch, ökologisch und wirtschaftlich bankrott war. Das sollte man nie vergessen.

Frau Wagenknecht will die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen verbieten, während das Handwerk ganz andere Probleme beschäftigen. Die Betriebe können im Schnitt der vergangenen Jahre 20.000 Ausbildungsplätze nicht besetzen. Was tun?
Noch im Jahr 2000 hatten wir im Handwerk etwa doppelt so viele Auszubildende wie heute. Das hat vor allem demografische Ursachen, es gibt wesentlich weniger Schulabgänger. Zugleich aber haben wir mehr Studierende – vor allem auch als Folge einer Bildungspolitik, die jahrzehntelang das Mantra vom Königsweg Abi plus Studium gepredigt hat. Wir können uns über den Mangel an Bewerbern beklagen, aber das bringt nichts. Das ist eine Realität. Daher müssen wir überlegen, wie wir als Handwerk trotzdem attraktiv sind und auch neue, kreative Wege gehen. Und wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, dass von uns ausgebildete Fachkräfte auch im Handwerk bleiben.

Bemüht sich das Handwerk denn ausreichend um Berufsnachwuchs?
Das Handwerk ist noch immer Ausbilder der Nation: Im Handwerk arbeiten ungefähr zwölf Prozent der Erwerbstätigen und es steht für acht Prozent der Wertschöpfung, stellt aber knapp 30 Prozent aller Ausbildungsplätze. Seit mehr als 10 Jahren rühren wir mit unserer Imagekampagne für das Handwerk die Werbetrommel. Aber die Ausbildung wird den Betrieben schwer gemacht – nicht wenigen Azubis fehlen einfachste Formen des sozialen Miteinanders, zunehmend müssen die Betriebe mit Lerndefiziten von Schulabsolventinnen und -absolventen umgehen. Dazu kommen steigende Kosten – unter anderem durch teurere Materialien, durch mehr personellen Aufwand bei der Betreuung der Azubis, auch durch höhere Mindestausbildungsvergütungen, die zu erwirtschaften einigen Gewerken nicht leicht fällt.

Sie wollen, dass die Mindestausbildungsvergütung wieder abgeschafft wird?
Nein, aber viele Betriebe kümmern sich über dieses Maß hinaus. Sie organisieren Nachhilfeunterricht und reparieren, was in der Erziehung und im Bildungswesen schiefgegangen ist. Oder sie geben Geflüchteten eine Chance. Aber das sollte dann auch wertgeschätzt und sie dafür auch entlastet werden, etwa mit einem Zuschuss für den Nachhilfelehrer oder zur Prüfungsvorbereitung.

Noch einmal zurück zum Ausgangspunkt des Interviews und den Stellenstreichungen in der Industrie. Steht das Handwerk bereit, wenn es darum geht, vom Jobverlust bedrohten Beschäftigten eine neue Perspektive zu bieten?
Diese Fachkräfte sind herzlich willkommen im Handwerk, aber Sie wissen, dass das Lohngefüge der Industrie ein anderes ist als im Handwerk. Das Handwerk muss in die Lage versetzt werden, höhere Löhne zahlen zu können.

Gewerkschafter würden sagen, Ihre Betriebe müssen einfach mehr zahlen.
Ich kenne dieses Argument. Es unterstellt, dass die Selbstständigen nicht zahlen wollen oder selbstverschuldet nicht genug erwirtschaften. Aber es ist ein Unterschied, ob der Lohnanteil an den Kosten bei fünf bis zehn Prozent liegt, wie in manchen Industriebetrieben, oder bei 40 bis 80 Prozent, wie im Handwerk. Viele Meisterinnen und Meister würden gern mehr zahlen. Aber das geht nur, wenn die Kosten und insbesondere die Lohnzusatzkosten nicht immer weiter steigen. Der Bäcker im ländlichen Raum kann ihnen auf den Cent genau sagen, ab welchem Preisaufschlag sein Kuchen nicht mehr verkauft wird und zum Ladenhüter wird. Die Leistung muss für den Kunden bezahlbar sein.

Quelle: https://www.zdh.de/

Bild: ZDH/Henning Schacht

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